this is where i start. a second diary, for which there is no name yet. i‘d like to explicitly issue a trigger warning. people who have experienced trauma could have stressful experiences with the topic of neurodivergence / trauma.
as i mentioned in my diary, i understand english pretty well, but i'm not very eloquent in writing. please excuse my mistakes, google translater helps me. my style of writing is sometimes a bit fragmentary and at the same time nested, easy to understand in german, but i have no feeling for the reception in english. the subtlety of language and its translation might not be completely and correctly reflected.
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hier beginne ich nun. ein zweites tagebuch, für das es noch keinen namen gibt. ich möchte noch einmal explizit eine triggerwarnung aussprechen. menschen mit traumaerfahrung könnten mit dem thema neurodivergenz / trauma belastende erfahrungen machen.
alle bilder und texte unterliegen dem urheberrecht, sie sind mein geistiges und materielles eigentum. / all images and texts are subject to copyright, they are my intellectual and material property.
11/11/22. as i write the date, i think: i chose a nice date for my first entry, because while writing i noticed the harmony of the numbers, in every sense. equations can be made from them, there is a duplication and they are the numbers of a dual system; they can be arranged symmetrically and in checksums in various ways. in short: there is plenty of room to play with these numbers in my mind. i also find my favorite number there, 12. i‘ve never been able to explain exactly why this is my favorite number, i just feel it and it belongs to me.
actually i have no relationship to numbers. i neither assign them colors, nor days, nor a pictorial idea in my perception. i was never good at math, precisely because i lack this ability for abstraction and imagination. but because numbers are also pictures, signs, i can use them to play.
as i write, i think about whether "number" is the correct term, whether i shouldn't say "digit". i don't know, i think about it for a moment, whether i should do a search on google and decide against it right now on my keyboard. because it is my language that i use for it. a person can understand me and a correct choice of words is not really important.
during writing the second section it occurred to me that i love rows of numbers, even though i'm not really interested in the mathematical calculations and theorems behind them. the fibonacci series, for example, the golden ratio, which i recognize fairly quickly, even if - as i said - i have no mathematical imagination. it's the same with music and with harmonies of the universe or fractals. i recognize their beauty and know that they follow a rule i don't understand.
i want to show something with my flow of thoughts. what happens in my brain in the shortest possible time when i look at a few meaningless signs that come together in me. i do it for myself to document myself. and it's for something i don't know yet.
i kept asking myself why i needed this semi-anonymous, virtual space to express myself. i don't know that either. it seems to me that i might be venturing into the light while i'm writing on a black background. that i want to be honest and put together the fragments of my innumerable diaries that i have started in order to understand and gain knowledge.
my willingness to associate is a lovely power and it costs me more energy than i have. because the constant thinking cannot be stopped. only when painting.
in addition, i am often silent while i am thinking. because on the one hand i need days, sometimes weeks, to come to a conclusion, a decision. during the outer silence i am very restless, my hands have to be in motion and most of the time i walk and walk because the movement helps me.
and i've had the experience that other people can't understand my train of thought and i'm not only thinking about one thing (which for me is a lot of things) i'm also getting into explanatory thinking. in the last few years i have gotten into the habit of verbalizing a chain of associations in order to be able to make people understand why i came from the topic „forest“ to „deep sea diving“. i will definitely write about that later. it's exhausting for both sides. so i keep silent more and more. but i don't want to be silent and that's the reason why i`m maybe here now.
by the way, i started the idea of a second diary at a completely different place. i‘ve been thinking about my family. in my mind were sentences: in my family of origin there was and is a lot of analytical talent. i‘ve always been creative...
no matter where on this planet: i mostly feel strange.
but i'm not lonely. there are wonderful people in my life who understand.
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11.11.22. während ich das datum schreibe, denke ich: schönes datum habe ich mir für meinen ersten eintrag ausgesucht, denn während des schreibens ist mir die harmonie der zahlen aufgefallen, in jeder hinsicht. aus ihnen lassen sich gleichungen machen, es gibt eine dopplung und es sind die zahlen eines dualsystems; sie lassen sich auf verschiedene art symmetrisch und in quersummen anordnen. kurz: es ist viel platz, um mit diesen zahlen im kopf zu spielen. außerdem finde ich meine lieblingszahl dort wieder, die 12. ich konnte noch nie genau erklären, warum dies meine lieblingszahl ist, ich fühle sie einfach und sie gehört zu mir.
eigentlich habe ich keine beziehung zu zahlen. weder ordne ich ihnen farben, noch tage, noch eine bildliche vorstellung in meinem kopf zu. in mathematik war ich nie gut, eben weil mir dieses abstraktions- und vorstellungsvermögen fehlt. da zahlen aber auch bilder sind, kann ich mit ihnen spielen.
während ich schreibe, denke ich darüber nach, ob „zahl“ der korrekte begriff ist, ob ich nicht besser „ziffer“ sagen sollte. ich weiß es nicht, überlege kurz, ob ich eine Sucheingabe bei google mache und entscheide mich gerade auf meiner tastatur dagegen. denn es ist meine sprache, die ich dafür nutze. man kann mich verstehen und eine korrekte wortwahl ist nicht wirklich von bedeutung.
während des zweiten absatzes ist mir eingefallen, dass ich zahlenreihen liebe, auch wenn die dahinterliegenden mathematischen berechnungen und sätze mich kaum interessieren. die fibonaccireihe zum beispiel, jener goldene schnitt, den ich ziemlich schnell erkenne, auch wenn ich - wie gesagt - keine mathematische vorstellungskraft habe. so ist es auch mit musik und mit harmonien des weltalls oder fraktalen. ich erkenne ihre schönheit und weiß, dass sie einer regel folgen, die ich nicht begreife.
mit meinem gedankenfluss will ich etwas zeigen. das, was in kürzester zeit in meinem gehirn passiert, wenn ich auf ein paar bedeutungslose zeichen blicke, die sich in mir zu etwas zusammenfügen. ich tue es für mich, um mich selbst zu dokumentieren. und es ist für irgendwas, das ich noch nicht kenne.
immer wieder habe ich mich gefragt, warum ich diesen halbanonymen, virtuellen raum brauche, um mich zu äußern. auch das weiß ich noch nicht. es scheint mir, dass ich vielleicht so den weg ans licht wage, während ich auf schwarzen grund schreibe. dass ich ehrlich sein will und die fragmente meiner unzähligen begonnenen tagebücher so zusammenfüge, um zu verstehen und erkenntnis zu erlangen.
meine assoziationsbereitschaft ist eine liebenswürdige kraft und sie kostet mich mehr energie, als ich habe. denn das permanente denken ist nicht zu stoppen. nur beim malen.
hinzu kommt, dass ich oft schweige, während ich denke. denn zum einen brauche ich tage, manchmal wochen, um zu einen schluss, einer entscheidung zu kommen. während des äußeren schweigens bin ich voller unruhe, meine hände müssen in bewegung sein und meistens gehe ich und gehe, weil die bewegung mir hilft.
und ich habe die erfahrung gemacht, dass andere menschen meine gedankengänge nicht nachvollziehen können und ich neben dem denken über eine sache (die ja für mich viele sachen sind) ich auch noch in erklärungsdenken komme. in den letzten jahren habe ich mir angewöhnt, eine assoziationskette zu verbaliseren, um meinem gegenüber verständlich machen zu können, warum ich von vom wald zum tiefseetauchen gekommen bin. darüber werde ich sicher noch schreiben. es ist anstrengend, für beide seiten. so schweige ich mehr und mehr. aber ich will nicht verstummen und deswegen, denke ich gerade, bin ich jetzt vielleicht hier.
begonnen habe ich die idee eines zweiten tagebuches übrigens an einer völlig anderen stelle. ich habe über meine familie nachgedacht. in meinem denken waren sätze: in meiner herkunftsfamilie gab und gibt es sehr viel analytische begabung. ich war immer kreativ…..
egal wo auf diesem planeten: ich fühle mich meistens fremd.
aber ich bin nicht einsam. es gibt wundervolle menschen in meinem leben, die verstehen.
14.11.2022. with many things, properties, phenomena i have the urge to verify. knowing that a suspected state of facts is correct. my psychologist would now reply that the reason for this lies in my childhood. and in my efforts to justify myself i would seek security for my rightness. it is not that easy. i need clarity to move on. it's that simple.
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14.11.2022. bei vielen dingen, eigenschaften, phänomenen habe ich den drang der verifikation. das wissen, dass ein vermuteter sachverhalt richtig ist. meine psychologin würde nun entgegnen, dass der grund dafür in meiner kindheit liegt. und ich in meinem rechtfertigungsbestreben sicherheit für mein richtigsein suchen würde. so einfach ist es nicht. ich brauche klarheit, um weiterzugehen. so einfach ist es.
12/24/2022. i‘ve many mental approaches to continue writing here. while i am walking, before sleep. they keep dissolving because it's so hard for me to grasp everything. i know that once i start writing, it's easy. but i‘m still struggling with words. i keep getting new information, against my burgeoning doubts and truths. it's like i'm dissolving because everything i've learned in the world throughout my life is slowly falling away from me and i feel such a deep exhaustion that i don't have that impulsive energy that i've often felt. comforted by the presence and conversations with very close people and by observing others who find it easier to write about their neurodivergence. this makes me sitting here with a sense of community. and waiting, knowing that the words and sentences will come, like the colors.
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24.11.2022. ich habe viele gedankliche ansätze, hier weiterzuschreiben. während ich gehe, vor dem schlafen. sie lösen sich immer wieder auf, weil es mir so schwer fällt, alles zu greifen. ich weiß, wenn ich angefangen habe mit dem schreiben, geht es einfach. doch noch ringe ich mit worten. ich informiere mich ständig neu, gegen meine aufkeimenden zweifel und wahrheiten. es ist, als würde ich mich auflösen, weil all das, was ich im laufe meines lebens gelernt habe in der welt, langsam von mir abfällt und ich eine so tiefe erschöpfung fühle, dass ich jene impulsive energie, die ich oft verspürt habe, nicht finden kann. mich trösten die gegenwart und gespräche mit sehr nahestehenden personen und die beobachtung anderer, denen es leichter fällt, über ihre neurodivergenz zu schreiben. das lässt mich mit einem gefühl von gemeinschaft hier sitzen. und darauf warten, wissend, dass die worte und sätze kommen so wie die farben.
11/27/2022. i’ve started some books, poetry, essays, non-fiction. about my childhood, about origin, about trauma, illness, love, pedagogy. started, discarded, put away for a later point in time. hundreds of pages filled with words.
things are long ahead of me that need to be restored, patched, repaired. sometimes i manage to do it right away, in a form of self-conviction. most of the time, however, they wait, they are looked at again and again by me, my conscience speaks up and i get angry about the many, many thoughts that have made me do it and the negative feelings that i could save myself if i acted linearly. i forget them and after a long time i am able to encourage myself to do the work.
my studio is full of paintings that i would like to show. and i'm waiting for someone to come and take my hand and show me a place destined for the world.
the secrecy with which i do all this, with which i create something, shows my hyper focus, coupled with the fear of complete self-overestimation that one could notice that i only simulate. because i am inconsistent, fleeting and at the same time fixated on a project.
slowly i understand that this is my me. and always has been. that if i could take a straight path, i'm more interested in the small side paths. that my shadowland series with the countless path pictures is much more of a search than i can think.
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27.11.2022. ich habe einige angefangene bücher, lyrik, essays, sachbuch. über meine kindheit, über herkunft, über trauma, krankheit, liebe, pädagogik. begonnen, verworfen, abgelegt für einen späteren zeitpunkt. hunderte seiten gefüllt mit worten.
dinge liegen lange vor mir, die restauriert, geflickt, repariert werden müssen. manchmal gelingt es mir, es gleich zu tun, in einer form der selbstüberzeugung. meistens jedoch warten sie, werden immer wieder von mir betrachtet, mein gewissen meldet sich und ich ärgere mich über die vielen, vielen gedanken, die mich mir dazu gemacht habe und die negativen gefühle, die ich mir ersparen könnte, wenn ich linear handeln würde. ich vergesse und nach langer zeit rede ich mir zu, es zu tun.
mein atelier ist voller bilder, die ich gerne zeigen würde. und ich warte darauf, dass jemand kommt und mich an der hand nimmt und mir einen ort zeigt, der für die welt bestimmt ist.
die heimlichkeit, mit der ich das alles tue, in der ich etwas erschaffe, zeigt meinen hyperfokus, gepaart mit der angst vor völliger selbstüberschätzung, dass man merken könnte, dass ich nur simuliere. weil ich inkonsistent bin, flüchtig und gleichzeitig fixiert auf ein projekt.
langsam verstehe ich, dass das mein ich ist. und schon immer war. dass ich zwar einen geraden weg nehmen kann, mich aber die kleinen seitenwege mehr interessieren. dass meine schattenlandserie mit den unzähligen wegebildern noch viel mehr suche ist, als ich denken kann.
12/05/2022. secrecy. is what i would choose as the overarching term for highly functional masking. i just skimmed my last entry and got stuck on this word. everything that concerns my neurodivergent properties can be provided with secrecy. secret stimming. secretly copying. secretly avoiding the gaze. secretly feeling no border to another beeing. secretly tasting too much, the experience of too many textures. secretly counting and secretly having stress, permanently, before every appointment. secretly knowing that almost everything is a crippling appointment. secretly not knowing what i feel. covertly overload and melt by flipping a switch that releases the internal vacuum. being so secretly autistic that i and the world didn‘t notice it. being confronted with the observation that there is no congruence with myself each day. doing everything to be "normal". until the secrecy no longer grips and i realize that one shell after the other is writhing from me. and i wonder how i can find myself in this mountain of covers. i am audhd.
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05.12.2022. heimlichkeit. ist das, was ich als übergeordneten begriff für hochfunktionale maskierung wählen würde. gerade habe ich meinen letzten eintrag überflogen und bin an diesem wort hängengeblieben. alles, was meine neurodivergente eigenschaften angeht, kann mit heimlichkeit versehen werden. heimlich stimmen. heimlich kopieren. heimlich wegsehen. heimlich keine grenze zum anderen spüren. heimlich zu viel schmecken, zu viele texturen erfahren. heimlich zählen und heimlich stress haben, permanent, vor jedem termin. heimlich wissen, dass fast alles ein lähmender termin ist. heimlich nicht wissen, was man fühlt. heimlich overloaden und schmelzen, indem ein schalter umgelegt wird, der das innere vakuum auslöst. so heimlich autistisch sein, dass man selbst und die welt es nicht merkt. und man täglich mit der beobachtung konfrontiert ist, dass es keine deckungsgleichheit mit sich selbst gibt. alles tun, um „normal“ zu sein. so lange, bis die heimlichkeit nicht mehr greift und ich feststelle, dass sich eine hülle nach der anderen von mir windet. und mich frage, wie ich in diesem berg von hüllen mich selbst finden kann. ich bin audhd.
27.12.2022. nachahmung als maskierungsstrategie. als ich begonnen habe, mich mit dem thema neurodivergenz zu beschäftigen, war ich mir sicher, dass ich eigentlich keine nachahmende person bin. im laufe der monate hat sich das verändert: mir sind sehr viele dinge aufgefallen, die ich kopiere. ich habe mich zum beispiel immer gewundert, dass ich eine sogenannte sprachanpasserin bin. wenn ich in meiner alten gegend bin, rede ich mit einer anderen satzmelodie als hier im norden, in österreich nutze ich ein rollendes r . mir wurde immer gesagt, dass man keineswegs hören würde, woher ich komme. manchmal fand ich mich komisch und fühlte mich wie eine schwindlerin, wenn ich unbewusst die sprachmuster kopierte und anwendete, so als könne man glauben, ich würde mich über die art des sprechens von menschen lustig machen. das tat ich nicht, es war eine automatisierte handlung. selbst menschen mit deutsch als zweitspache kam ich sprachlich entgegen, und ertappte mich bei zweifelnden gedanken. es scheint mir heute eine form der annährung, des beziehungsaufbaus zu sein, indem ich mich der sprache meines gegenübers oder meiner gesamten umgebung anpasse. das gilt auch für fremdsprachen. vielleicht versuche ich auch deshalb, diese tagebucheinträge zu übersetzen, gewissermaßen als angebot und zeichen meiner bereitschaft zur kommunikation, die mir ja oft auch schwer fällt.
über diese form der nachahmung komme ich langsam in meine vergangenheit und erinnere mich mehr und mehr daran, dass ich nicht nur die sprache, sondern auch stile und umgangsweisen nachgeahmt habe. vor allem von engen freund*innen. so, als wäre mein selbst nicht sicher. sogar schriftbilder saugte ich auf und näherte mich ihnen an, um sie zu meinem eigenen zu entwickeln. das passierte vor allem in meiner kindheit und jugend, als findung. als ich in diese erinnerungen gefallen bin, begegnete ich meinem permanenten unbehagen in der schule und allen sozialen situationen. tatsächlich wurde ich gemobbt. erst in der grundschule, in der ich als aus der stadt zugezogenes kind mit den regeln kaum vertraut war und auch den dialekt des dorfes nicht sprach. nicht am religionsunterricht teilnahm, also ein heidenkind war. in den pausen stand ich oft verloren am rand. nach dem übertritt ins gymnasium war es eine gruppe von mädchen, die sich regelmäßig über mich lustig machten. ich galt als streberin. beide konflikte löste ich durch anpassung. schob mein selbst unter die oberfläche und bemühte mich um breite anerkennung und falsche freundschaften. fremd blieb ich. später tat so, als sei ich erhaben über den spott, indem ich mich älteren anschloss, die literatur als waffe nutzte und die grenzen meiner welt verschob.
als ich in den norden zog, war ich eine person mit stilsicherem geschmack, zahlreichen interessen, krativen talenten und gebrochenem herz. ein jahr lang pendelte ich nach süden, bis ich mich entschloss, nur ein leben zu führen. ich ging allein tanzen, hatte affären und angst vor menschen, verkäufer*innen, kaufhäusern und meinem chef. ich übte smalltalk und rolltreppen fahren. passte mich an.
dass nun so eine rückwärtsbewegung aus meinem schreiben geworden ist, überrascht mich nicht. während des schreibens öffneten sich bilder und schlagwörter fielen heraus, angst und ohnmacht. missbrauch und einsamkeit. meine stärksten introjekte aus einer emotional vernachlässigten kindheit sind tiefe überzeugungen, dass ich niemanden habe, auf den ich mich verlassen kann und der mich beschützt. und ich in logischer konsequenz niemanden brauche. ich schaffe es. allein.
02.01.2023. in diesem jahr gab es keine silvesterparty. genauso wie in den letzten jahren. mir fehlte es nicht. aber so ganz ohne verabredung, in gesellschaft unseres hundes, das fühlte sich erst mal auch etwas komisch an. ich bin froh, dass ich nicht in situationen musste, die mit smalltalk verbunden sind und auch die guten wünsche für ein kommendes jahr fallen mir zunehmend schwer, es sei denn, sie gelten familie und freunden. die letzte woche war beladen mit emotionalen ereignissen, die mich an manchen stellen in meine kindheit versetzt und auch andere erinnerungen geweckt haben. nach den feiertagen fühlte ich mich ausgelaugt und meine überforderung in der auseinandersetzung mit mir selbst suchte den raum eines meltdowns. es sind oft belanglosigkeiten, die dazu führen, dass ich in einen emotionalen ausnahmezustand gerate. für mein gegenüber ist das natürlich nicht nachvollziehbar und macht die ganze situation nicht gerade einfacher. so war es auch an silvester. während ich mich über eine kleinigkeit aufgeregt habe, in den konflikt gegangen bin, ist mir folgendes klar geworden: silvester ist auch so ein tag, der mich überfordert. ich will das nicht, aber es ist da. ich fühle unruhe und beschäftige mich mit dem abschluss des jahres. sehe zurück. blicke nach vorn mit vielen fragen. in mir lauert ein magisches denken, dass die silvesternacht als botschaft für das sein des kommenden jahres sieht. auch wenn ich diese überzeugung mittlerweile leugne, ist sie da. in der letzten nacht des jahres ist mir klar geworden, dass ich, um zukünftige meltdowns zu vermeiden, diese ereignisse klar benennen und äußern muss. die herausfordernde ungewissheit eines tages wird sich wiederholen, ebenso wie die aufgeladene erwartung. in dem augenblick, in dem ich beginne, mich über etwas aufzuregen, ist es schon zu spät. aufregung, innere unruhe und die unmöglichkeit, meine gefühle zu benennen wirken wie eine starre. an diesem silvesterabend konnte ich das erkennen, erlaubte mir zu stimmen, zu reden und meine überflutung loszulassen. wir haben hineingetanzt. ich liebe tanzen.
11.01.2023. morgen habe ich einen arzttermin in bremen. seit einem dreiviertel jahr habe ich tinnitus. bereits im november war ich dort zu einem erstgespräch, den folgetermin habe ich verschoben, weil es mir nicht gut ging und zu viel wurde. ich muss mich einteilen und weiß, wenn meine anstrengung zu groß wird, geht es mir schlecht. den termin morgen hätte ich auch fast verschoben, mit argumenten, dass der hund allein ist, der winter zu dunkel. diesmal konnte ich mich selbst überzeugen, hinzufahren. nun bereite ich mich seit etwa einer woche auf den termin vor. die praxis, in die ich muss, ist in einer gegend mit wenig parkplätzen und dichtem verkehr. es ist laut. die praxis ist voller menschen. das letzte mal habe ich mich mit einem anderen patienten angelegt, der seine maske nicht trug. man hat mich mit fragebögen und rezepten nach hause geschickt und mir angekündigt, dass ich viel wartezeit mitbringen müsste, denn eigentlich gäbe es keine termine. alles unsicherheitsfaktoren. dazu kommt, dass ich ärzte schätze, aber arztbesuche hasse. früher habe ich das warten als zeitverschwendung empfunden. warten habe ich gelernt, als ich meine krebsdiagnose bekam und von einem warten ins nächste gefallen bin. seitdem sitze ich tatenlos in wartezimmern, manchmal mit sudoku und gebe mich dem zustand des nichtstuns hin. morgen wird die sache vielleicht schwierig. denn die parkuhr muss alle zwei stunden gefüttert werden und ich brauche etwas zu essen. das kann nichts x-beliebiges sein, denn an arzttagen vertrage ich wenig und bekomme durchfall. und ich hasse fremde toiletten. die vorbereitungen für einen solchen termin sehen vor, dass ich das auto volltanke, kleingeld bereitlege, mir die strecke mehrfach ansehe und ebenso überlege, ob ich um 7.00 uhr oder um 7.05 uhr losfahren werde. dann kommt die weckzeit dazu, die zeit für kaffee und bad, die hunderunde. dieser wird von einer nachbarin versorgt, wenn ich unterwegs bin. ich muss überlegen, was ich anziehe, um mich wohlzufühlen. das alles durchdenke ich mehrfach. der tag vor einem termin ist im grunde gelaufen, denn die aufregung lässt mich von einer sache zur nächsten springen. heute habe ich mich in die geschehnisse um lützerath gestürzt. darüber nachgedacht, eine liste all meiner angefangenen hobbies und spezialinteressen der letzten monate zu erstellen, musik gehört, mit meiner tochter telefoniert und ihre kunst bewundert, bin mit dem hund gegangen, habe versucht, mich auszuruhen (hat nicht geklappt) und habe mich am späten nachmittag ins auto gesetzt und bin einkaufen gefahren, weil ich die spannung nicht mehr ausgehalten habe, nicht weil es nötig war. ich habe meine hände gesehen, in bewegung und hakelnde finger. der supermarkt hat mich abgelenkt. ich war in einem, den ich schon lange nicht mehr besucht habe und die regale und veränderte sortierung hat mich irritiert, sodass ich nur einen bruchteil der waren wahrnehmen konnte. zum glück war nichts los. es lief keine musik. social media hat den rest der ablenkung geschafft. gleich werde ich essen und in den fernsehr hüpfen und morgen werde ich überstehen und mich trauen, nein zu sagen, wenn sich etwas nicht richtig anfühlt. das habe ich nämlich geträumt heute nacht. die praxis, menschen, die mir nicht gesonnen waren und therapievorschläge, die mir nicht helfen. verhaltenstherapeutische ansätze bringen nichts bei mir, ist doch klar.
13.01. termin geschafft und ich auch. kurze nacht, vor dem wecker aufgewacht und dann die taktung meiner planung durchgezogen. regen, viel regen und dunkelheit, sehr anstrengende fahrerei. habe es geschafft, nicht auf die uhr zu sehen und das radio und meine dlf-sicherheit nicht einzuschalten. den routenplaner finde ich inzwischen als segen, ich lass mich führen durch die städte und warte auf anweisungen. eigentlich kenne ich den weg inzwischen. die untersuchungen haben knapp zwei stunden gedauert, meinen stimmingring habe ich offen benutzt. ich bin danach direkt nach hause, habe den hund abgeholt und mich ins bett gelegt und geschlafen. gestern nachmittag schon die erste auslaugung und schmerzen. heute atemnot, bleischwere und nervenschmerzen bei anstrengung. ruhiger tag, ich bin froh, dass es vorbei ist und ich nichts muss und ruhe haben kann. eigentlich wollte ich meinen letzten eintrag löschen, er erscheint mir oberflächlich. manchmal ist jedoch die beschreibung meiner selbst keine pointierte, wohlfeile prosa.
17.01.2023. es ist schwer, zu erklären, wie sich im inneren ein kampf abspielt. es ist nicht nur die identifizierung meines autismus und die entdeckung meiner seit frühester kindheit verinnerlichter maskierungsstrategien, sondern auch die identifizierung von adhs und die damit verbundene kontrolle, der dopaminmangel und permanente unruhe. beides passt eigentlich nicht zusammen und steht sich im weg. so ist also nicht nur die neurodivergenz als seinsform, die in jeder hinsicht an grenzen in einem neurotypischen lebensumfeld stößt und eine unglaubliche erschöpfung mit sich bringt, sondern auch die innere zerissenheit, die ebenso erschöpfend und lähmend ist.
mein autistisches ich hat großes interesse an spezialwissen und ich wünsche mir, expertin in vielen bereichen zu sein, wirkliche expertin. mein adhs-ich hat sofort zahlreiche großartige ideen zur kreativen umsetzung des themas und verliert vor lauter geistesblitzen und tatendrang die verbindung. ich lese viel, überspringe absätze, vergesse und verliere mich in weiteren spannenden details des ursprünglichen themas. mein autistisches ich will sich eingraben, mein adhs-ich will herausrennen mit einem buch, einem bild, einer selbsthilfegruppe, einem pädagogischen konzept, einer galerie. und mein adhs-ich langweilt sich schnell. so führen meine drange zu nichts.
ein beispiel, das vielleicht nicht so komplex ist, ist meine morgenrunde mit dem hund: ich liebe die routine des weges, den ich täglich nehme. während ich den weg abgehe, denke ich, dass ich verrückt werde, wenn ich noch einmal diesen weg langgehen muss, dass ich vor langeweile eingehen werde.
es ist also nie etwas richtig. weder in meiner beziehung zur neurotypischen welt. noch in meinem inneren, in dem sich autismus und adhs nicht kongruent verhalten.
08.02.2023. ich gehe seit jahren durch tiefs. das gefühl des ausgebranntseins dehnt sich in mir aus. es fällt mir schwer, zu schreiben. an malen ist nicht zu denken. meine vermutung, dass ich neben meinen körperlichen einschränkungen einen autistischen burnout habe, zieht sich als gedanke seit meiner selbstidentifizierung durch meine überlegungen. dazu kommt, dass ich zweifle. ob das alles überhaupt stimmt und auch, ob mir glauben geschenkt wird. ich fühle, dass ich keine kraft habe, um anerkennung dieses inneren wissens zu erkämpfen und es könnte genau das sein: ein kampf. dass ich kein selbstbewusstsein habe, cfs, depression und non-hodgkin (ruht) zu äußern, über tinnitus zu sprechen. außer in meiner familie und bei freund*innen. selbst hier ist es nicht leicht. meine schwerbehinderung gebe ich an museumskassen zu, um vergünstigten eintritt zu bekommen. vielleicht habe ich zu große angst, opfer zu sein. vielleicht ist aber auch mein mangelndes fühlen meiner selbst, das durch krankheit noch mehr aus dem gleichgewicht kommt und in leugnung meines körpers verharrt.
seit ein paar tagen ändert sich aber etwas. ich lese weiterhin viel über neurodivergenz, bin stumme konsumentin zahlreicher twittermenschen, deren zutreffende, mich erkennende beiträge ein herz erhalten und auf meine leseliste wandern, die mittlerweile kilometerlang ist. so wie die bei instagram. es hat sich schleichend eine zulässigkeit in mich gewunden. sie ruft mir zu. autistin! und ich kann denken, dass ich es nicht angemessen finde, das beweisen zu müssen. nuerotypische menschen müssen auch nicht beweisen, dass sie neurotypisch sind. so übe ich einen dialog - ich sage: ich bin autistin. auf jede gegenfrage, auf jeden widerspruch auf jedes: jeder ist ein bisschen autistisch antworte ich: ich weiß es. nicht ein bisschen. vielleicht ist das ein gutes Mantra: ich weiß es. nicht nur ein bisschen.
nachtrag. ich habe nachgedacht über den begriff opfer. nach der definition bedeutet das wort, in einem religiösen sinn, eine gabe an gott oder etwas, das man abgibt oder spendet. in sich enthält der begriff eine freiwilligkeit. opfer bedeutet etymologisch, einen schmerzlichen verzicht. das schmerzlich fehlt in der religiösen definition. aber auch ein schmerzlicher verzicht beinhaltet durchaus freiwilligkeit. ein tatopfer ist nach wikipedia jemand, der durch straftaten zu schaden kommt. hier ist die freiwilligkeit ausgeklammert.
opfer werden bedeutet, durch eine straftat oder ein ereignis unmittelbar oder mittelbar physich, psychisch und / oder materiell geschädigt zu werden (google).
meine überlegung ist, dass es so umstritten ist, sich als opfer zu bezeichnen. es nehme die autonomie. ich denke, das ist falsch. denn einem opfer wurde die autonomie genommen, schon lange vor der selbstbezeichnung. sich also opfer zu betrachten hat nichts mit selbstentwertung zu tun.
21.02.2023. körper. darüber habe ich in den letzten tagen nachgedacht. vielmehr nichtkörper. ich habe ein paar tweets gelesen zum thema raum und wahrnehmung. dazu ist mir eingefallen, dass ich schon als kind oift gestolpert bin, gegen türen, äste, laternenpfähle gelaufen bin. ich bin oft hingefallen und hatte viele blaue flecken. ich bin ziemlich groß und gehe mit großen schritten. eins der introjekte meiner mutter war: mach nicht so große schritte. wenn ih filmaufnahmen von mir sehe, nehme ich mich als ungelenk wahr, als schlenkerten meine arme immer hin und her, als würde ich immer eine leichte beugung meiner länge vornehmen. es fühlt sich an, als würde mein körper nicht zu mir gehören. und ich fühle mich nicht. der widerspruch dazu: ich fühle jede veränderung in meinem körper, bin hochsensibel auf abweichungen. wenn ich mich in die meditation begebe, was nur noch selten passiert, kann ich mich in eine art trance versetzen, die sich in meinem köprer ausbreitet. doch fast immer ist mein denken, mein sehen vom rest des köpers getrennt. jahrelang habe ich versucht, die anweisungen von therapeut*innen umzusetzen, die es als gut aufgabe zur verbesserung von selbstakzeptanz sahen, in die körperwahrnehmung zu gehen. das irritiert mich. mir zuzulächeln, meinen körper zu bewundern und zu feiern, ist mir fremd. ganz im gegenteil, es löst panik aus. ob das am autismus liegt oder an traumatischen erfahrungen, kann ich nicht sagen. was geht: atemübungen, yoga, meditation. nicht zum zweck der verbesserung von etwas, sondern zum angenehmen gefühl und der verortung von gefühlen.
ich muss mich zwingen zu schreiben. weil ich weiß, dass ich später ein bisschen zufriedener sein werde, weil ich geschafft habe, nach worten zu suchen. meine ausgebranntheit, die ich deutlicher wahrnehme, wenn ich in einem fatigueanfall bin, hat alle euphorischen impulse geschluckt. ich tu es also nicht aus lust, sondern aus der notwendigkeit, diesen erschöpften raum irgendwann zu verlassen. mich zu erinnern. noch suche ich die tür.
15.03.2023. als kind war einer meiner träume dieser: ich habe ein großes bett, in dem ich lebe. dort ist alles, was ich brauche - viele bücher, gutes essen, trinken und die großen decken, in die ich mich kuscheln kann. dort darf ich den ganzen tag sein.
seit ein paar tagen fühle ich mich an diesen traum erinnert. denn ich tue genau das, auf dem sofa. bücher, decken, essen, hund. podcast, ruhe, serie, hund. zwischendurch bin ich eine stunde mit dem hund draußen, ich stehe am herd oder versuche ordnung.
vorhin war ich im park und es kam mir jemand mit einem großen hund entgegen. ich hatte angst. das erste mal ein gefühl. in den schichten meines körpers haben sich in den letzten wochen und monaten erschreckende ereignisse niedergelassen, die ich mit nichtfühlen zu verdrängen versuche. es ist, als würde ich nicht hinkommen und leere ausgießen.
doch vorhin, als ich merkte, dass angst in mir aufsteigt, übernahm mein hirn die kontrolle. hund anleinen, weggehen.
vor knapp zwei wochen wurde mein hund attackiert von einem anderen, wirklich großen hund. ich habe versucht, sie zu schützen und ihn wegztreten. dabei hat er mich gerammt und ich bin über ihn gefallen. seitdem schmerzt mein bein und ich lebe mehr oder weniger auf dem sofa. es sind nur prellungen und zerrungen, aber es dauert. am tag nach dem ereignis lagen wir, meine töchter, hund und ich auf dem sofa, einwickelt und still, in den mäandern unserer serie. overload. eingeschmolzen bin ich seitdem. und wahrscheinlich viel länger. das sofa ist mein safespace.
28.03.3023. cfs-tag. gestern habe ich es geschafft, das erste mal. mich jemandem anzuvertrauen, der nicht zur familie oder zu den freunden gehört, nicht meine psychologin ist. während ich bei der gyn saß, zur jährlichen kontrolle, dachte ich: ok, es ist soweit. erschöpfung, traumatisches und mein gedanke bezüglich autismus und adhs, alles ausgesprochen. sie war wertschätzend. hat mir mut gemacht und mir versichert, dass das ein anfang sei, zu reden. nach dem termin: ausgebrannt wie immer, schlafen, denken, leere. kein gefühl.
06.04.2023. es scheint, als könnte ich langsam die türe öffnen. nun verbringe ich seit einem jahr viel zeit damit, mich einzulesen und zu vergessen und beweise zu suchen, die mich stärken. beweise, dass ich autistin bin, dass ich adhs habe bzw. bin. über das impostersyndrom wurde genug geschrieben, es ist also eine begleiterscheinung, sich selbst in zweifel zu ziehen.
ich hatte mir vorgenommen, mit der psychologin, die ja zuerst recht verhalten auf meine äußerungen bezüglich neurodivergenz reagiert hatte, zu sprechen und mich gegebenenfalls von ihr zu verabschieden. aber sie reagierte sehr aufgeschlossen, gab mir tipps und adressen und empfahl mir, mich zur diagnose anzumelden.
gerade läuft es gut gut und ich fühle mich nicht mehr so gefangen und unsicher in hilflosigkeit.
nach der hundeattacke ging es mir wirklich schlecht, ich fühlte mich wie in einem dauermeltdown. auch das natürlich thema gestern, wir konnten herausarbeiten, dass es zum einen ein trauma ist und zum anderen ein trigger früherer traumaerfahrung. leere, verlorenheit. die psychologin fragte mich, was mir geholfen habe. meine rituale. ich weiß, was ich jeden tag tue. in welcher reihenfolge. wie ich mich versorge.
im nachdenken über diese verhaltensweisen wurde mir klar, dass mein autistischsein mir wahrscheinlich mehrfach das leben retten konnte, denn in jeder noch so schwierigen situation konnte ich mich auf das, meine rituale und das automatisierte funktionieren verlassen. ich stehe auf. ich brauche ordnung.
18.04.2023. die tage mit crashs häufen sich zur zeit. liegt an der situation. wir renovieren und das geht über meine kräfte. das gute: morgen wird es mir besser gehen und wir sind fertig. wieder gewohnheit, keine körperliche verausgabung und mein standard an umgebung ist wiederhergestellt. ich denke so oft an die leute, die mit longcovid in schlimmster form zu kämpfen haben. wenn ich morgens aufwache und spüre, heute ist so ein tag, dann würde ich am liebsten heulen, weil ich wütend bin, dass es mir nicht gut geht. ich schleiche durchs haus und fühle, dass mein bedürfnis nach bewegung, nach tun eingeschränkt ist. dass es immer noch weit verbreitet ist, cfs als psychisches phänomen wahrzunehmen, ist nicht gerecht. auch ich musste immer wieder mitleidige blicke aushalten und kommentare, dass ich belastet sei. dass ich mal abschalten müsse, sport machen etc. ich weiß, dass sich psychische belastungen in körperliche symptomen äußern können und betrachte diese als genau so wirklich und echt wie körperliche beschwerden. aber: die stigmatisierung chronischer erschöpfung, die sich durch unsere gesellschaft zieht, macht etwas. wir fühlen uns nicht ernst genommen. es gibt keine hilfe. cfs ist eine körperliche erkrankung, die schlimmste psychische folgen haben kann.
ich habe mir auch hier eine maske zugelegt. viele wissen nichts von dieser erkrankung und ich rede nicht darüber, wenn es mir schlecht geht. dass meine einschränkungen so gravierend sind, dass ich nicht arbeiten kann und in meinem portemonaie einen kleine grüne karte mit mir trage, die mich als schwerbehindert (was für ein wort) ausweist.
mit dieser erkrankung, die in unserem system für wertlosigkeit sorgt, muss gelebt werden.
es ist wie mit neurodivergenz: niemand sieht mir an, dass ich autistin bin, dass ich adhs habe. niemand sieht und fühlt die innere unruhe, das permanente denken oder die überflutung. ich habe gelernt, nach draußen zu gehen und meine masken zu tragen. die mich noch mehr erschöpfen, weil ich sie schon so lange habe und weil ich in permanenter selbstdisplinierung und kontrolle bin. die ich zum teil noch gar nicht kenne. je weniger ich kontrolliere, umso anstrengender wird die welt, umso lauter, greller, fremder.
eigentlich wollte ich etwas über die umkehrung von maskierung schreiben. ich habe darüber nachgedacht, welche zeitpunkte es gibt, momente, in der die maske zu greifen beginnt.
ich versuche herauszufinden, wer ich in diesem moment weiter gewesen wäre, hätte ich in anderen nicht einen spiegel gesehen, der mich verschwinden hat lassen. nicht wir maskieren. die maske nimmt uns.
das mache ich ein anderes mal.
30.mai 2023. pfingsten liegt hinter uns. tage im garten, im geflirr der bienen und hummeln, die sich durch die blüten trinken und in farbe tauchen. ich war viel unterwegs. reisen liebe ich. die ungewissheit davor nicht. in mir wächst in den tagen davor eine ungreifbare unruhe, eine angst, die ich nicht näher beschreiben kann. wenn ich dann im auto sitze, mit nahestehenden menschen, fühle ich mich sicher und der unbekannte ort vor mir wird zum abenteuer. ich kann ihn in besitz nehmen. ihn mir vertraut machen. das davor in seiner unruhe, den inneren merkzetteln und planungshierarchien ist kraftraubend. packen, erledigen, kontrollieren. eine reise ist ein termin, so falle ich in den stunden davor in diesen zustand des wartens, jenen stillstand.
musik hat mich beschäftigt in den letzten tagen. neue, zugeflogene, geschenkte, alte.
eine serie, die mich in erinnerungen geworfen hat und mir mich gezeigt hat, in einem kellerraum, immer wieder eintauchend in die gleiche rille, um zu verstehen. mühsam texte übertragend, lauschend. einer nie gehörten dissonanz und sperrigen riffs. die serie hat mich aufgewühlt. musik fühle ich unmittelbar, ebenso wie kunst. der reiz des analysierens kommt später. es ist ein intuitiver vorgang, mir fehlen fachbegriffe und erklärungen. mir war nie klar, dass es nicht für alle menschen so ist. ich gehe zu konzerten, um nur musik zu hören. in discotheken, nur um zu tanzen. denn das macht musik mit meinem körper. ich habe keine festlegung, keine bevorzugung einer musikrichtung. die entweder-oder-debatte meiner jugend fremd. es geht rap mit techno, jazz mit folk, country mit klassik. so sieht meine playliste aus. sie sammelt für mich jene geschenkten lieder, von da aus fliegen sie in ihre eigene liste. warum, habe ich mich gestern gefragt, gibt es eigentlich kein speicherdatum für die lieder, so wie bei fotos. denn die musik ist für mich ein tagebuch und ich erinnere mich an die tage, die zeiten, gleichsam wie ich die urlaube erinnere, weil ich das essen, das ich dort genossen habe, an tage und plätze verorte und überall, wo ich nicht bin, in mir aufrufen kann.
13.12.2023. lange nicht geschrieben. viel gedacht, vergraben, gezweifelt. gerade voller innerer unruhe, voller zweifel. morgen ist mein diagnosetermin. ich könnte die ganze zeit weinen, fühle mich nicht gut vorbereitet, weiß nicht, wie ich mich vorbereiten kann.
neurotypische menschen verstehen mein tiefstes bedürfnis nach diagnose nicht. mein partner sagt, egal, was passiert, du weißt es, ich weiß es. es scheint mir, als würde ich lügen.
aber, so versuche ich mich zu beruhigen: wer, der nicht autistisch ist, hat den wunsch, sich diagnostizieren zu lassen.
einen podcast gehört, neun folgen in zwei tagen. über autismus in einer beziehung mit neurotypischem partner.
im sommer war ich sechs wochen in einer klinik. ptbs. diagnose steht. erleichtert mich.
habe eine körpertherapeutin gefunden.
erlaube mir, mehr offen zu stimmen. in mir ist schweigen, zu viel gefühl.
20.12.2023. gestern das zweite diagnosegespräch. frustrierend, muss ich sagen: ich erfülle ein wesentliches kriterium nicht, der mangelnde augenkontakt. nein, ich kann augenkontakt aufnehmen und halten, ich kann auch innigen augenkontakt haben. aber ich bevorzuge, es nicht zu tun. in der schule ist es notwendig.
frage mich, ob ich immer noch so hoch maskierend bin, dass man mir es einfach nicht glaubt.